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Ein kulinarischer Streifzug durchs Servitenviertel

von: cherrycoding 0 Kommentare

International und wienerisch zugleich: Wiens schönstes Grätzel ist auch ein Paradies für Feinschmecker.

In der Mitte steht eine Barockkirche. Das muss so sein in Österreich. An der sauber geputzten weißgelben Schnörkelfassade und den fleißig läutenden Glocken erkennt man, wie lebhaft das Dorfleben blüht. Hier im Servitenviertel, dem wohl schönsten Grätzel der an romantischen Winkeln gewiss nicht armen Wienerstadt, lässt sich die Dorfidylle an den Abenden besonders schön beobachten, vor allem freitags. Wenn die Sonne sinkt und sich rötlich in den Fenstern der wunderbaren französischen Bäckerei-plus-Café „La Mercerie“ spiegelt, tritt meist auch die raumgreifende Gestalt des Patrons Gregory Gouillard aus der Tür, atmet tief durch und lenkt die Schritte die Gasse hinunter, ein paar Alleebäume weit, bis zum Laden von Gerald König. Dort lehnt schon ein Grüppchen am Stehtisch vor dem Schaufenster. Königs Leidenschaft sind Delikatessen aus Frankreich, Würste, Pasteten, Wein, manchmal auch Austern aus der Bucht von Marennes, vor allem aber gut gereifter Käse. Der Nachbarschaftsplausch zum Auftakt des Wochenendes verlangt jetzt nach einem Glas Sancerre als Unterlage, dazu ein Stück gereiften Camembert. „Ami, remplis mon verre“, tönt Jacques Brel aus dem Lautsprecher.

Aber nein, wir sind nicht in Montmartre, auch nicht in Notting Hill im Westen von London oder im Mission District von San Francisco – auch wenn Besucher, die es zum ersten Mal ins Servitenviertel verschlägt, genau diese Vergleiche immer wieder anstellen. Wien zeigt sich hier von seiner internationalen und zugleich bodenständigen Seite, das ist kein Widerspruch. Der Mann mit dem hintergründigen Lächeln zum Beispiel, der jetzt aus dem kleinen Lokal mit dem meerblauen Portal kommt und sich zu den anderen stellt, heißt Panzenböck und ist durch und durch Wiener, aber gleichzeitig lautet sein Vorname Xerxes, und in seiner Nudelmanufaktur „La Pasteria“ produziert er die vielleicht besten italienischen Ravioli, Tortellini und Agnolotti der Stadt.

Für einen Griechen würde man ihn nicht so leicht halten, trotz seines südlichen Temperaments, und obwohl er ganz gern einmal drüben in der Porzellangasse im Restaurant Rembetiko vorbeischaut, dem ältesten griechischen Lokal Wiens, wo sie gegrillte Souvlaki, gefüllte Weinblätter und Meze auf den Tisch stellen und die Bouzoukis erklingen, als säße man auf dem Peleponnes.

Richtig gut italienisch essen kann man natürlich auch in dieser Ecke Wiens, nicht nur bei Xerxes. Da gibt’s das Ristorante Scala mit seinem schönen Schanigarten und den extra scharfen Linguine puttanesca, oder die Pizzeria Riva (so authentisch neapolitanisch kriegt man die Teigfladen oft nicht einmal in Neapel), oder das Eatalia, wo sich allein mit der Vielfalt an Antipasti ein ganzer Abend bestreiten ließe.

Und wo bleibt das Wienerische? Im Wickerl zum Beispiel: dunkelbraune Lamperie, Holztische mit adretten Tischtüchern, Tafelspitz mit Cremespinat, Backfleisch, Kalbsschnitzel mit Erdäpfelsalat – mehr Beisl geht kaum noch. Beim Servitenwirt direkt neben der Kirche servieren sie lauwarm marinierten Schweinskopf mit Estragon. Für den Zwiebelrostbraten im Gasthaus zum Rebhuhn in der Berggasse kommen manche Stammgäste von weit angereist. In der Café Konditorei Bürger schließlich ist jene Tradition noch lebendig, die in den großen Kaffeehäusern der Innenstadt nur mehr für die Touristen inszeniert wird. Hier trifft man noch die kreativen Köpfe und Büromenschen, die ihre Arbeit vormittags beim Frühstückskaffee in der koffeingetränkten Abgeschiedenheit des Cafés erledigen, ebenso die Mehlspeis-Adepten, die am Nachmittag frischen Apfelstrudel zur Melange jausnen. Im Sommer kommen dann die Kinder aus den umliegenden Schulen und holen sich ein Stanitzel vom selbstgemachten Eis.

Zum Mitnehmen, natürlich, fürs Hinsetzen haben die jungen Leute keine Zeit, schon gar nicht bei schönem Wetter, wo es doch so viele Möglichkeiten zum Herumlaufen, Turnen und Toben gibt in den Gassen, in denen nur selten ein Auto die unbändigen Lebensäußerungen stört. Im Park des mächtigen Palais Liechtenstein lässt sich sowieso ein ganzer Tag verbringen, ohne dass es langweilig wird.

Allerdings genießen auch Erwachsene das Servitenviertel gern im Freien, wenn es das Wetter zulässt. Die Atmosphäre verleitet zum Spazierengehen. „Es empfiehlt sich, mit leicht in den Nacken gelegtem, langsam von links nach rechts pendelndem Kopf zu schlendern, um all die Häuser bewundern zu können […]“, schreibt der deutsch-bulgarische Schriftsteller Ilja Trojanow, der schon bei seinem ersten Spaziergang zwischen Grünentor-, Hahn- und Berggasse beschloss, gleich ganz hier zu bleiben. Mit dem Blick nach oben, so Iljanow, sieht man nämlich, was hier „um die vorvorige Jahrhundertwende prachtvoll gebaut, stuckiert und karyatiert“ wurde: „Hier ein geschwungener Sims, dort ein von Rocaillen umgebenes Fenster und drüben Atlas, muskelbepackt, wallebärtig, der in zweifacher Ausführung das Eingangsportal stützt.“

Hinter den behäbigen Gründerzeitfassaden verbirgt sich aber oft cool-modernes Interieur, wie beim Imbisslokal Plain des Fußballprofis Ruben Okotje, wo Poké-Bowls und vegane Burger Leib und Seele erfreuen, oder beim Kiang in der Grünentorgasse, einer bevorzugten Adresse für Freunde moderner Asia-Küche. Fast schon ein Kategorie für sich ist der wunderschöne Goldene Drache in der Porzellangasse, Wiens ältestes Chinalokal, das sich seit der Eröffnung 1963 optisch kaum verändert hat und die – oft genug prominenten – Gäste immer noch mit prachtvoll geschnitzten vergoldeten Raumteilern, rotem Teppich, schweren Lustern unter der Kassettendecke und würdevoll herumstehenden Buddha-Statuen empfängt. Hier wird die bereits nostalgisch umflorte europäisierte China-Küche alten Stils (Acht Schätze, Fastenspeise des Buddha und so…) ebenso aufgetischt wie eine unverschämt knusprige Pekingente oder raffiniert gefüllte Dim Sum.

Gleich um die Ecke stößt der Spaziergänger auf den mächtigen Bau des Lycée Français de Vienne, wo Kinder für eine vielsprachige Zukunft in Europa ausgebildet werden. Man sagt, dass dort in der Kantine ganz exzellent gekocht wird. Wie sich’s für eine Schule im Servitenviertel gehört.

 

Text Walter Osztovics

Foto: Mani Hausler

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Kategorien: Blog, Kulinarik